Viele Trader handeln, als wüssten sie, was sie tun – bis du sie fragst, wie viele Pips ihr letzter Trade eigentlich hatte. Dann wird gestottert, geraten, geschätzt. Manche werfen mit Punkten um sich, andere mit Lotgrößen, und am Ende bleibt die zentrale Frage unbeantwortet: Hast du verstanden, wie viel du wirklich riskiert hast?
Was in der Theorie simpel klingt, wird in der Praxis oft zur Rechenruine. Und die Ursache ist fast immer dieselbe: fehlende Klarheit. Nicht nur über das Setup, sondern über das, was es kostet, wenn du falsch liegst. Wer Pips nicht präzise berechnet, läuft ins offene Messer – nur langsamer, aber genauso sicher.
Der Klassiker: Punkte mit Pips verwechseln
MetaTrader, cTrader und andere Plattformen zeigen gerne „Punkte“ an. Klingt harmlos, ist aber tückisch. Ein Punkt ist ein Zehntel Pip. Das heißt: 100 Punkte Bewegung sind eben nicht 100 Pips, sondern nur 10. Und wenn du denkst, du hast einen 50-Pip-Stop gesetzt, es waren aber nur 50 Punkte, dann riskierst du plötzlich ein Fünftel dessen, was du eigentlich geplant hast. Oder – noch schlimmer – du rechnest mit 50 Punkten, es sind aber 500 Pips, und dein Konto verabschiedet sich mit einem lauten Knall.
Viele merken nicht mal, dass sie mit der falschen Einheit denken. Und wundern sich dann, warum ihre Risiko-Kalkulationen nie aufgehen. Das Problem ist nicht die Volatilität – das Problem ist dein Taschenrechner im Kopf, der seit Monaten falsch rechnet.
Die Unsichtbarkeit des Pip-Werts
Ein Pip ist keine feste Größe. Der Wert hängt ab vom Währungspaar, von deiner Kontowährung und von deiner Positionsgröße. Wenn du ein USD-Konto hast und EUR/USD handelst, ist 1 Pip bei einem Standardlot 10 USD wert. Klingt einfach. Aber wehe, du wechselst zu EUR/GBP oder USD/CHF. Dann sieht’s anders aus. Und noch schlimmer wird’s, wenn deine Kontowährung nicht USD ist. Dann brauchst du den Umrechnungskurs zusätzlich, um überhaupt zu wissen, was dein Stop-Loss kostet.
Wenn du diese Rechenschritte nicht automatisiert hast – und zwar vor dem Trade – fliegst du blind. Du glaubst, du riskierst 1%, aber in Wahrheit sind es 3,4%. Und du weißt nicht mal, warum dein Depot langsam vor sich hinschmilzt.
Falsche Lotgrößen wegen Bauchgefühl statt Rechenregel
Es gibt Trader, die handeln 0,1 Lot, weil „das fühlt sich gut an“. Andere machen 1,0 Lot, weil „da kommt was bei rum“. Die wenigsten berechnen ihre Positionsgröße anhand von Pips und Risiko pro Trade. Wenn du aber nicht weißt, wie viele Pips dein Stop umfasst, und wie viel Wert pro Pip bei deiner Lotgröße entsteht, dann kannst du dein Risiko auch würfeln.
Ein Beispiel: Du setzt einen Stop von 20 Pips. Bei 0,1 Lot und EUR/USD sind das 20 USD. Wenn du 1 Lot handelst, sind es 200 USD. Wenn du aber versehentlich 2 Lot klickst – was viele Anfänger ohne Volumenkontrolle tun – riskierst du plötzlich 400 USD auf einen einzigen Trade. Das sind vielleicht 10% deines Kontos. Für einen einzigen Fehler, den du in drei Sekunden gemacht hast. Und genau das killt deine Equity-Kurve. Nicht der Markt, nicht die Volatilität, nicht das Setup. Deine Rechenfaulheit.
Spread, Slippage und das Selbstbetrugs-Spiel
Angenommen, du nimmst dir vor: Ich nehme 20 Pips Gewinn mit, 10 Pips Stop. Sauber. RR 2:1. Klingt solide. Aber hast du den Spread einberechnet? Den Slippage? Viele machen das nicht. Sie setzen ihre Take-Profit-Marke bei exakt 20 Pips und wundern sich, warum sie mit 16 aus dem Markt gehen. Oder warum sie ausgestoppt werden, obwohl der Preis nie auf ihrer Marke war.
Das ist kein technisches Problem. Das ist ein Denkfehler. Du handelst nicht auf dem Chart, du handelst auf dem Bid-Ask, auf der echten Ausführungsebene. Und da zählen nicht die Pips, die du dir ausgemalt hast – sondern die, die wirklich auf deinem Konto landen oder verschwinden.
Wer das ignoriert, tradet mit einem verzerrten Weltbild. Du malst dir eine Strategie auf Basis von Idealbedingungen, aber du handelst in einem Markt mit Reibungsverlusten. Und das Ergebnis ist: Deine Statistik ist von Anfang an gefälscht. Von dir selbst.
Emotionales Nachjustieren – das Ende jeder Kalkulation
Ein weiterer Klassiker: Du setzt den Stop bei 15 Pips. Der Trade läuft gegen dich. Du verschiebst ihn auf 20. Dann auf 25. Irgendwann sagst du dir: „Jetzt ist’s auch egal.“ Und bei -40 wird er dann ausgelöst – oder du schmeißt ihn manuell raus. Willkommen in der Welt des Selbstbetrugs.
Du kannst vorher noch so sauber gerechnet haben – wenn du deinen Stop-Loss im Live-Trading relativierst, hast du kein Risikomanagement, sondern einen Wunsch. Und Wünsche bezahlen sich nicht aus. Du brauchst eine Zahl, auf die du dich verlassen kannst. Und du musst akzeptieren, dass diese Zahl auch real wird – selbst wenn sie wehtut.
Trading heißt nicht: Verluste vermeiden. Trading heißt: Mit kontrollierbaren Verlusten leben und trotzdem langfristig im Spiel bleiben. Und das beginnt mit der Frage: Wie viel kostet mich ein Pip – wirklich?
Fazit ohne Schnickschnack
Wenn du deine Pips nicht im Griff hast, brauchst du über Strategien, Indikatoren oder Psychologie gar nicht reden. Dann fehlt dir das Fundament. Du musst wissen, was du tust – in Zahlen. Du musst jeden Trade rechnen können wie ein Handwerker, der weiß, was ein Zentimeter kostet. Alles andere ist Glückspiel mit Anzug.
Lern, Pips zu rechnen. Nicht ungefähr. Nicht „nach Gefühl“. Exakt. Immer. Dann wird aus deinem Setup eine Strategie – und aus deinem Trade eine kontrollierbare Entscheidung. Sonst bleibt es Glücksspiel mit Chart-Deko.